Interview mit Dr. Carlo Marassi aus Brasilien, einem führenden Kieferorthopäden und Verfechter der digitalen Kieferorthopädie
Im Oktober kam das Kieferorthopädische 3Shape-Beratungsgremium erstmals in Kopenhagen zusammen. Bei den fünf Mitgliedern des Kieferorthopädischen 3Shape-Beratungsgremiums, die aus verschiedenen Teilen der Welt stammen, handelt es sich um führende Kieferorthopäden und anerkannte Fachleute beim Einsatz digitaler Technologien.
Dr. Carlo Marassi aus Brasilien ist Inhaber einer Klinik und prominentes Mitglied verschiedener kieferorthopädischer Organisationen in Rio de Janeiro. Er unterrichtet außerdem in Bildungsprogrammen für fortgeschrittene Kieferorthopädie, hält Vorlesungen und veranstaltet Workshops in Brasilien und im Ausland. Dr. Marassi ist ein starker Verfechter des Einsatzes von Technologie zur Verbesserung der kieferorthopädischen Versorgung.
Nach den Gesprächen des Gremiums fand Dr. Marassi einige Minuten Zeit, um mit 3Shape über digitale Kieferorthopädie, Intraoralscans und seine Ansichten zur Zukunft der Branche in Brasilien zu sprechen.
Verwenden denn in Brasilien bereits viele Kieferorthopäden Intraoralscans?
Die Technologie setzt sich immer mehr durch, und ich bin davon überzeugt, dass sie schon in relativ wenigen Jahren zum Standard in Brasilien wird. Wenn das der Fall ist, können wir endlich die Gipsmodelle zur Ersterfassung ganz abschaffen.
Geschieht in Brasilien die Ersterfassung traditionell eher in der Praxis oder im Labor?
Die Situation in Brasilien ist ganz speziell. Die meisten kieferorthopädischen Kliniken fertigen keine Modelle zur Ersterfassung an. Die Patienten werden bisher von den Kliniken zu einem speziellen Imaging Center überwiesen, wo geschultes Personal Bilder und Röntgenaufnahmen anfertigt und die Modelle erstellt. Danach sendet das Center sämtliche Informationen und auch die Modelle wieder an den Kieferorthopäden zurück, der die Diagnose und Behandlungsplanung durchführt, nachdem er den Patienten bei einer klinischen Untersuchung kennengelernt hat.
Welche Vorteile bringen die digitalen Technologien Ihrem kieferorthopädischen Unternehmen?
Da könnte ich Ihnen einige aufzählen, doch ich beginne mal mit der Aufbewahrung. Ich bin jetzt seit über 20 Jahren Kieferorthopäde, und wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, unsere Patientenakten 10 Jahre lang aufzubewahren. Wir mussten zusätzliche Büroräume mieten, um all unsere Gipsmodelle aufzubewahren. Eines der ersten Dinge, die wir mit unserem Digitalsystem erledigen wollen, ist die Digitalisierung aller unserer Modelle und die Schließung unserer extra angemieteten Aufbewahrungsräume. Das ist nur eine Möglichkeit, wie wir mit der Technologie bereits jetzt Geld sparen, ganz zu schweigen von der Zeit und dem Personalaufwand, die mit einem physischen Aufbewahrungssystem verbunden sind.
Bietet die Verwendung digitaler Modelle noch weitere Vorteile?
Gipsmodelle können leicht zerbrechen, und dann gehen sämtliche Falldaten verloren. Das kann bei digitalen Modellen nicht passieren. Natürlich sichern wir unsere digitalen Archive wie jedes andere kritische IT-System. Doch die Möglichkeit zur Schaffung digitaler Modelle macht die gesamte Archivierung preiswerter, effizienter und robuster.
Welche Auswirkungen hat die Digitaltechnologie auf Ihre Arbeit mit den Patienten?
Die digitale Kieferorthopädie erleichtert uns die Kommunikation mit den Patienten. Es ist so toll, über ein 3D-Bild von der Okklusionssituation des Patienten zu verfügen und es ihm während der klinischen Untersuchungen zeigen zu können. Anhand des 3D-Bilds ist es viel einfacher, Probleme und Behandlungen zu zeigen, weil die meisten Menschen gar nicht wissen, was „Okklusion“ bedeutet, oder noch nie ihre Zähne ganz hinten im Mund gesehen haben. Sie wissen nicht, was ein Kreuzbiss ist oder wie andere kieferorthopädische Probleme aussehen. Wenn Sie Ihren Patienten ein 3D-Bild samt Okklusion bereits beim ersten Besuch zeigen können, verstehen sie viel besser das Problem und die Behandlungsmöglichkeiten. Dieses Verständnis trägt auch dazu bei, sie zu motivieren, den nächsten Behandlungsschritt zu unternehmen.
Welche Auswirkungen wird die Digitaltechnologie auf den kieferorthopädischen Markt in Brasilien haben?
Brasilien ist ein riesiger Markt. Es gibt bei uns mehr als 20.000 Kieferorthopäden, und wir gehören weltweit zu den Ländern mit den meisten Kieferorthopäden im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Die Kieferorthopäden müssen sich zunehmend weiterentwickeln, wenn sie im Wettbewerb bestehen und erfolgreich sein wollen. Wie in jedem Land revolutionieren diese Technologien unsere Arbeitsweise und damit auch den gesamten kieferorthopädischen Markt. Die Vorteile sind so überzeugend – Einsparung bei der Modellaufbewahrung, verbesserte Kommunikation, kürzere Behandlungszeiten, Softwaretools zur effizienten Behandlungsplanung, dass der Erfolg im Markt schon bald von denen bestimmt wird, die diese Technologie nutzen.
Warum hat Brasilien so einen riesigen Kieferorthopädiemarkt?
n Brasilien gibt es 345 Graduiertenschulen für Kieferorthopäden, sodass jedes Jahr viele neue Kieferorthopäden in den Markt vordringen. Aber es hängt auch mit der brasilianischen Kultur zusammen. Vielen Brasilianern ist ihr Aussehen enorm wichtig, und sie wollen immer ein schönes Lächeln zeigen können. Im brasilianischen Fernsehen treten traditionell attraktive Personen auf, und die Messlatte für ein schönes Lächeln hängt dadurch sehr hoch. Viele Menschen suchen einen Kieferorthopäden auf, weil ein schönes Lächeln ihren Status erhöht. Außerdem hat sich Brasilien in den letzten zehn Jahren wirtschaftlich weiterentwickelt und liegt nach dem nominalen BIP (Bruttoinlandsprodukt) weltweit an siebter Stelle bei der Kaufkraftparität. Wir haben eine wachsende Mittelschicht, die zunehmend bereit ist, Geld für ein schönes Lächeln auszugeben.
Carlo Marassi, Kieferorthopäde in Rio de Janeiro, Brasilien
Carlo Marassi absolvierte seine Facharztausbildung in Kieferorthopädie an der Staatlichen Universität von São Paulo. Zur langen Liste seiner beruflichen Erfolge zählen: Master of Science am SLM Dentistry Research Center, Campinas; Mini-Residenz an der Michigan University, Ann Arbor, USA; Wissenschaftlicher Leiter der Brasilianischen Gesellschaft für Kieferorthopäden, Vizedirektor der Gesellschaft der Kieferorthopäden von Rio de Janeiro, Wissenschaftlicher Leiter der Straight-Wire Group von Rio de Janeiro, WFO-Fellow und Mitglied der American Association of Orthodontists. Mit seiner Privatpraxis verfügt er über 20 Jahre Erfahrung in der Kieferorthopädie. Er ist außerdem Chefredakteur von Clinical Orthodontic, Dental Press, Präsident und CEO des Marassi-Schulungsinstituts und anerkannter internationaler Dozent.